Kriminalität

Der Scharfrichter von München (6)

(Fortsetzung).

Bevor sie in die Kammer unterm Schaffot trat, wiederholte sie ihre Frage nach dem Scharfrichter noch einmal, indem sie sich sehr dringend an den sie führenden Gerichtsdiener wandte: »Sagen Sie mir, wo ist Herr Scheller?« »Dort, wo wir hinein gehen,« ward ihr zur Antwort. Mit scheuem Blicke maß sie die unübersehbare Menschenmenge, welche die Reize des blutigen Schauspiels herbeigelockt hatte, und äußerte gegen den Pastor: »Sehen Sie doch die Tausende, Alle warten auf meinen Tod.« »Nicht alle, Anna Maria!« Jesus! dort oben, fuhr sie fort, nach dem Richterstuhle zeigend, helfe mir der allbarmherzige Gott,« mit diesem Ausruf sank sie in die Arme des Spitzwürfels, der sie mit dem Gerichtsdiener in die Kammer schleppte. Unter den trostreichen Worten: »Selig sind die, die in dem Herrn vollenden,« wurde sie auf den verhängnißvollen Lehnstuhl gesetzt, während der Spitzwürfel nach dem reichen aufwärts gebundenen Haarbüschel griff, holte der Nachrichter mit dem blitzenden Schwerte weit aus: – »Jesus Christus, mein Gewinn!« – ein gräßlicher Streich, und ein blasses, blutendes Frauenhaupt ruht in der Rechten des Gehilfen, der es der stummharrenden Menge nach allen Seiten hin zeigte. Hiebei warf der Rumpf seine Blutstrahlen so heftig aus, daß Nachrichter und Spitzwürfel davon befleckt, eilig zurücksprangen.

In einem ähnlichen, gräßlichen Seelenzustand mag sich auch Melchior Tilger aus Augsburg befunden haben, welcher zu Bayreuth, wegen Mordes enthauptet wurde. Auf dem Armensünder-Karren zur Richtstätte geführt, schrie er fortwährend mit den fürchterlichsten Gestikulationen unter einer Fluth von Zähren, um Gnade und Hilfe: »Ich will nicht sterben, ich kann noch nicht sterben, bin ja kerngesund, was habt ihr an meinem armen Leben, das ihr mir nehmen wollt?« »Erbarmen! um aller Heiligen Willen Erbarmen!« So schallte es fort und fort vom Wagen herab. Die Seelsorger wußten sich mit ihrem Trostanbefohlenen selbst nicht mehr zu rathen und zu helfen. Kurz vor der Hinrichtung, bis zu welcher es sehr tumultuarisch, sowohl von Seiten des Delinquenten als des der Hinrichtung gierig harrenden Publikums herging, wirkten einige Worte aus dem Munde des Nachrichters an den Verzweifelnden gerichtet, mit denen er ihm begreiflich zu machen suchte, daß bei fortgesetzter Unruhe eventuell er sich selbst eine verunglückte Execution zuzuschreiben habe so mächtig auf denselben ein, daß sich Tilger zur Beruhigung und Verwunderung Aller, schweigend und geduldig wie ein Lamm, auf’s Blutgerüst schleppen und enthaupten ließ.

Auch einige humoristische Scenen aus den letzten Stunden so mancher zum Tode Verurtheilten, glauben wir unseren Lesern der Münchener Scharfrichter-Chronik nicht vorenthalten zu dürfen.

Der berüchtigte Mörder Joseph Busch, welcher im September 1853 über Schellers Richtschwertklinge springen mußte, benützte die erbetene dreitägige Gnadenfrist ausschließlich zur Erreichung des Vollgenusses aller seiner Lieblingsspeisen, besonders solcher die ihm bisher seltener unter die Zähne kamen, ingleichen alle Lieblingsgetränke, wie sie auch Namen haben mochten. Seine Henkersfrist konnte man deshalb auch vom frühen Morgen des ersten bis zum späten Abend des dritten Tages als ein ununterbrochenes Banket betrachten, eine Schmauserei comme il faut. Auf seiner Tafel fehlte kein Leckerbissen, sowohl trocken als naß und freigiebig und generös wie Joseph gewohntermaßen war, lud er zuweilen Gendarmen und Gerichtsdiener als Gäste zu sich.

(Schluß folgt.)