(Fortsetzung.)
Alle diese vorgeführten Motive einer gegründeten Besorgniß hatten Scheller’n zu der kurzen Rede veranlaßt, die er an den, seine volle Unschuld fortwährend betheuernden, alten Marchner richtete, und welche derselbe mit auffallender Gleichgiltigkeit, ohne den, der zu ihm sprach, nur eines Blickes zu würdigen, mit ungläubigem Kopfschütteln anhörte. Und wenn ein gemachter Versuch zur Erlangung der Bekennung der Blutschuld Marchners, durch energische Anspreche an diesen auch nicht in der Competenz des Nachrichters lag – noch liegt – so dürfte es ihm doch erlaubt gewesen sein, nachdem Untersuchungsrichter, Vertheidiger und Seelsorger das letzte Wort gesprochen, das ihm nunmehr übergebene »Opfer«, wie der Nürnb. Corresp. den Verurtheilten, unter den Händen des Scharfrichters nennt, im letzten Momente, der Liebe zur Wahrheit und dem Himmel zuzuwenden, und sich hiedurch zugleich sein in der That nicht beneidenswerthes Amt zu erleichtern.
Nach jener Anschauung aber müßte der Scharfrichter so letargisch und mechanisch, wie seine Maschine selbst, sich dem gegenüber verhalten, Dem er gemäß Urtheils den Lebensfaden zu durchschneiden hat, und dürfte sich weiter um nichts kümmern als um dessen Hals. Zu dieser Kategorie von Menschen gehört jedoch der Held unserer Geschichte nicht. Auch der tapfere Feldsoldat, welcher in seiner Pflicht handelt, in der Bataille so viele Feinde als möglich tödtet und zu tödten trachtet, thut dies weder kaltblütig, machinenmäßig, noch gefühllos.
Scheller will in keiner Weise den Inquirenten gespielt, sondern im Interesse seines Gewissens gehandelt haben, dessen Ruhegefährdung ihm gebot, nachdem der Priester an ihm vergeblich seine Worte verschwendet hatte, durch ein Paar eindringliche Vorstellungen, ein Schuldgeständniß von seinem Delinquenten zu veranlassen. Dem Vorwurfe eines stattgehabten Augenspieles, widerspricht er ebenfalls und erlaubt sich hiebei die Frage, ob man dies in den Worten: »Du kannst mich ja gar nicht ansehen, und betheuerst doch fortwährend deine Unschuld, willst du mir weiß machen, daß ich in deiner Person einen Schuldlosen hinrichten werde!« herausfinden wolle? Bei diesem Anlasse säumen wir nicht, eines Falles aus den Erlebnissen des Nachrichters Erwähnung zu thun, welcher eclatant von der nicht selten wichtigen und einflußreichen vertraulichen Zusprache zum Gemüthe des Verurtheilten überzeugen wird. Der wegen qualificirten Mordes, verübt in den fünfziger Jahren dahier, an dem Cigarrenhändler L. Sterl [Ludwig Reeb: 11–9–56*], und zwar in frechster Weise zur belebtesten Tagesstunde, in einem offenen Laden am Karlsthor-Rondell, zum Tode verurtheilte Metzgergeselle, Georg Treiber [18–3–37*], betheuerte bis zur Stunde vor seiner Hinrichtung seine Unschuld, und beklagte sich über ungerechte Verurtheilung.
Da trat eine Viertelstunde vor seiner Abführung der Scharfrichter vor ihn und ermahnte ihn nochmals eindringlich zur Wahrheit. Was Keinem gelang, setzte Dieser, ohne Scharlachmantel und bloßem Richtschwert durch – Treiber bejahte seine Schuld, gestand in Gegenwart Anderer sein Verbrechen und bat sofort Beichte ablegen zu dürfen. Scheller säumte nicht, dieß Ergebniß sogleich dem damaligen Vollzugs-Commissär, Rath Weichsler, mitzutheilen, der verwundert, dem Nachrichter dankend die Hand reichte, und beifügte, daß er ihm hiedurch einen wesentlichen Dienst geleistet und insbesondere Beruhigung verschafft habe.
Nachdem sich die Staaten, theilnehmender als je, zur Realisirung ihrer politischen Absichten, des Krieges, als des letzten, gewaltsamsten Mittels, bedienen, und diese colossalen Menschenschlächtereien, die ihrer Natur nach so alt wie die Welt sind, mit allen ihnen zu Gebote stehenden Mitteln ausgeführt werden, dürfte an eine allgemeine Aufhebung der Todesstrafe vorerst nicht zu denken sein, um so mehr, als auch die Völkerkämpfe, welche über ganze Nationen das Todesschicksal verhängen, von vielen nur als eine Ruthe, in der Hand der Vorsehung, angesehen werden. So lange Nationen, für die blutigsten Kriege schwärmen, so lange sich friedliebende Menschen, die sich niemals beleidigt haben, gegenseitig abschlachten, und diejenigen unverweilt der Strafe des Todes verfallen, welche sich weigern, am Abschlachten ihrer Mitmenschen Theil zu nehmen, mag der Scharfrichter sorgenlos unter den Seinigen leben, die Stunde seiner Quiescirung schlägt so bald noch nicht.
Längst haben die Städte London, Paris, Wien u. a. Biographien und Geschichten ihrer Scharfrichter, warum sollte München, dessen Gemeinde-Schiff mit aller Macht dem Fahrwasser einer Großstadt zusteuert, nicht auch hiezu berufen sein? Fanden doch im Anfange der Wirksamkeit der Schwurgerichtshöfe im kleinen Bayern mehr Hinrichtungen in wenigen Jahren statt, als in derselben Zeit im übrigen Deutschland, und bitter beklagte sich weil. König Max II. über die Anzahl von Urtheilsbestätigungen, die man ihm unterbreitete. Dieser König verbannte auch das Richtschwert, und indem sich manche Staaten noch stündlich zur Hinrichtung ihrer Verbrecher des unsichern Schwerts und des schmählichen Galgens bedienen, erfreut sich Bayern wenigstens einer sicheren Maschine, welche der Humanität mehr Rechnung trägt, als der Galgen im freien Albion.
(Forts. folgt.)