Kriminalität

Der Scharfrichter von München (1)

Symboldbild: Die öffentliche Hinrichtung von Karl Ludwig Sand am 20. Mai 1820 am Heidelberger Tor in Mannheim (Kolorierter Kupferstich; um 1820).
Symboldbild: Die öffentliche Hinrichtung von Karl Ludwig Sand am 20. Mai 1820 am Heidelberger Tor in Mannheim (Kolorierter Kupferstich; um 1820).

Auf dem Alten Südfriedhof an der Thalkirchner Straße in München liegen zahlreiche Opfer der Todesstrafe. Viele von Ihnen wurden vom Scharfrichter Lorenz Scheller enthauptet. Über diesen »Nachrichter« erschien 1873 im Feuilleton der Augsburger Neuesten Nachrichten die nachfolgend in Transkription wiedergegebene mehrteilige – äußerst wohlwollende – Artikelserie.

Die letzte öffentliche Enthauptung mit dem Schwert in München fand am 11. Mai 1854 auf dem Marsfeld – im Bereich der heu­tigen Arnulfstraße/Starnberger Bahnhof – statt: Der 19jährige Sattlergeselle Christian Hussendörfer [42–7–10] war wegen Mordes an seinem Meister Joseph Lindenmaier zum Tod verurteilt worden.
Öffentliche Hinrichtungen waren ein beliebtes Spektakel und die Polizeidirektion sah sich im Vorfeld der Hinrichtung veranlasst, nochmals ausdrücklich auf das Verbot, an der Richtstätte Schaugerüste aufzustellen und Lebensmittel zu verkaufen, hinzuweisen.

Die Hinrichtung Hussendörfers war ein Fiasko: Lorenz Scheller benötigte sieben Hiebe, um den Kopf vom Rumpf zu trennen und er mußte zum Schutz vor der aufgebrachten Menge von einer Gendarmerie-Eskorte nach Hause begleitet werden. Aufgrund dieser mißlungenen Hinrichtung wurde zukünftig eine von Johann Michael Mannhardt [MR–185] umgebaute Guillotine (Mannhardt-Fallbeil/Bayerische Guillotine) benutzt.


Im jetzigen Augenblicke beschäftigt die Conversation des Publikums in engern wie weiteren Kreisen eine Persönlichkeit, welcher als Organ der Strafjustiz, der genaue Vollzug der Todesstrafe anvertraut ist, wir meinen den Scharfrichter des diesseitigen Bayerns: Hrn. Lorenz Scheller. Noch heute, in den Tagen unseres vorgeschrittenen Zeitalters, beliebt man im Volke grauenhafte Geschichten von diesem oder jenem Nachrichter und seinen Amtirungen zu erzählen, dessen Characterzüge, Privat- und Familienleben, sowie dessen Urtheilsvollstreckungen zu entstellen, indem eine unedle Fama sich nicht entblödet, den wahren unbestrittenen Thatsachen, allerlei absurde, grauenhafte, und größtentheils unwahre Zuthaten anzureihen, mit einem Worte sich bestrebt, eine mittelalterliche Scharfrichter Chronik zusammen zu fabeln und zum Nachtheile der Betreffenden zu verbreiten, was derselben um so leichter gelingen möchte, als gerade mit der Individualität des Scharfrichters und den Eigenthümlichkeiten seines Gewerbes sich ja die Phantasie des Volkes so gerne beschäftigt, und trotz aller Culturbestrebungen, der Nachrichter, einem großen Theil des Publikums gegenüber, noch immer als ein unheimliches Wesen gilt, obwohl dessen Amtirung seit der im Jahre 1854 eingeführten Fallschwert-Maschine, lediglich in der Beaufsichtigung und Dirigirung derselben besteht, und alle übrigen Funktionen, wie Entblößen, Anschnallen, Heben und Einschieben unter das Fallschwert und dergl. durch dessen Gehilfen besorgt werden. Lächerliche, alte Vorurtheile und irrige Begriffe, noch aus jener Zeit stammend, in welcher das Amt des Nachrichters meist mit dem Gewerbe der Wasenmeisterei vereinigt war, verbreiteten unter dem Volk die Ansicht, daß der Nachrichter ein anrüchiges Individuum sei, während doch nachweisbar dieß Amt für sich allein bestehend, die bürgerliche Ehre dessen, der es bekleidet, noch niemals beeinträchtigt hat, der vom Staate öfters, sogar mit pragmatischen Rechten, gleich jedem andern Staatsdiener besoldete Scharfrichter – wie es bei Martin Hermann in München und Scheller’s Vater der Fall gewesen, welch Erster nebst freier Wohnung eine Besoldung von 1075 fl. und pragmatische Rechte genoß, während der jetzige Scharfrichter eine solche von 700 fl. nebst freier Dienstwohnung bezieht – zu jeder Zeit im Vollgenusse seiner bürgerlichen Ehre steht. Zugleich bemerken wir, daß ehedem die Scharfrichtereien als eine Art zünftigen Gewerbes betrieben wurden, und der dasselbe Ausübende wurde erst dann als Meister anerkannt, sobald er einen Verurtheilten wirklich regelrecht hingerichtet, resp. enthauptet hatte. Noch heut zu Tage bildet sie bisweilen eine abgeschlossene Kaste, so, daß ein solches Amt im Erledigungsfalle meist nur den Kindern und Verwandten von Scharfrichtern, oder Jenen, welche bei diesen als Angehende dienten, zufällt. Dieß war auch bei Lorenz Scheller, dessen in mancher Hinsicht nicht uninteressante Biographie wir den geehrten Lesern nicht vorenthalten zu dürfen glauben, in ähnlicher Weise der Fall.

Amberg, das reizend situirte Städtchen in der Oberpfalz, dessen Boden vor Kurzem mit dem Sühne-Opferblute der beiden dort enthauptet wordenen Raubmörder Marchner (Vater und Sohn) getränkt wurde, ist die Geburtsstätte Scheller’s, der 4. Februar 1816 sein Geburtstag. Hier domicilirten die Eltern, nämlich sein Vater Scheller, welcher für die Oberpfalz, Bayreuth und später auch für Niederbayern das Amt eines Nachrichters versah, und dessen Gattin, eine Tochter des bejahrten Scharfrichters und rühmlich bekannten Thierarztes, Martin Hermann, der in einem Häuschen nächst des Sendlingerthores gewohnt hatte, und dessen letzte Execution jene zu München auf dem sog. Galgenberge – an der berüchtigten Nürnberger Wirthstochter, Maria Birnbaum [13–4–53*, ihr Opfer Elisabeta: 19–1–3*] , Haushälterin des Postsekretärs Franz Unterstein [19–2–23*] im November 1837 vollzogen – gewesen war. Von Jugend auf besuchte Scheller öfters seinen Großvater, den alten Hermann, und erwarb sich im Laufe der Zeit vorderhand theoretisch einige Vertrautheit und Sicherheit in der Handhabung des Richtschwerts, ohne jedoch damals schon entschlossen gewesen zu sein, in die Fußstapfen seines Großvaters und Vaters zu treten. Mit empfehlenden Schul- und Leumundszeugnissen versehen, traf ihn die Conscription. Zuerst im 10. Inf.-Reg. eingereiht, später zum 2. Inf.-Reg. versetzt, diente er bis zum Jahr 1849 im k. Heere mit Auszeichnung. Ebenso wacker hielt er sich im Gendarmerie-Dienste, in welchem er eine geraume Zeit als Aktuar in der Canzlei des Gendarmerie-Corps-Commando’s verwendet worden war. Wegen besonderer Energie und Muthes hatte sich Scheller mehrerer Belobungen und Belohnungen zu erfreuen. Unter andern lebensgefährlichen Aufgreifungen und Festnehmungen berüchtigter Gauner und Strolche, welche er in seiner neuen Dienstsphäre zur vollen Zufriedenheit seiner Vorgesetzten ausführte, gehört auch jene des, aus dem Zuchthause in der Au entsprungenen berüchtigten Sträflings Michael Reiter, den er ohne andere Beihilfe, Angesichts verzweifelter Gegenwehr, muthvoll bewältigte und gefangen zurückbrachte. So hatte er sich denn fünfzehn Jahre lang mit unverdrossenem Eifer theils dem Waffen-, theils dem Sicherheitsdienste gewidmet und die besten Empfehlungen zur Gewinnung eines anderweitigen Dienstes in Civil, standen ihm zur Seite. Da gedachte er der Amtsübung seines Vaters und entschloß sich, wenn möglich, sein Nachfolger zu werden. Obwohl sich Scheller fest vorgenommen hatte, sobald noch nicht in den Stand der Ehe zu treten, fand sich doch, nachdem er kaum sein 36. Lebensjahr zurückgelegt hatte, der Gegenstand seiner Neigung und trotzdem er vorher manch‘ gute Partie ausgeschlagen hatte, in der Person einer fleißigen braven Ladnerin bei Kaufmann Vogl, der Schneidermeisterstochter Franziska Zaska aus Türschenreuth. Er hatte aber in seiner Braut ein bescheidenes mit häuslichem Sinne begabtes Mädchen, als Gattin eine treue Lebensgefährtin und sorgsam liebende Mutter gefunden, was wollte er mehr? Sein Familienglück und häuslicher Friede erlitten keine Störung, obwohl auch Scheller dann und wann Schicksalsschläge zu erdulden hatte, wie sie eben das Verhängniß jedem Sterblichen zur Prüfung seines wahren Werthes auferlegt. Seine Ehe ist auch in anderer Beziehung eine gesegnete zu nennen. Scheller wurde von seiner Gattin mit 13 Liebespfändern beschenkt, von denen jedoch der Himmel einen großen Theil noch im frühesten Kindesalter zurückforderte. Als Ersatz für so herben Verlust ließ er ihm dafür vier hübsche blühende Kinder, nämlich drei Mädchen und einen Knaben.

(Forts. folgt.)